Im Auftrag des Königs



Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen

Arnd Kischkel, 12.12.04


Während ich betete hatte ich mit einem Mal den Eindruck, vor einem großen Schlosstor zu stehen, das über und über mit Ranken überwachsen war. Ich fragte mich bei diesem Anblick, wie ich wohl nur an diesen Ort gekommen war; denn hier schien schon seit langer Zeit kein Mensch mehr ein- und ausgegangen zu sein. Das Tor wirkte so, als wenn es Hunderte von Jahren nicht mehr geöffnet worden wäre.

Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte ich plötzlich das Verlangen, an diesem Tor anzuklopfen. Aber ich zögerte noch. Warum sollte sich gerade dieses Tor auftun? Was erwartete ich denn? Suchte ich etwas?

Doch ich konnte nicht anders. Also ging ich auf das zugewachsene, alte Schlosstor zu und entdeckte auch einen schmiedeeisernen Ring, mit dem man anklopfen konnte. Mit ihm klopfte ich nun einige Male laut auf das Tor. Es schien sich nichts zu regen. Ich klopfte noch einige Male und wartete. Dann nach einiger Zeit waren Geräusche zu vernehmen. Es hörte sich an, als wenn jemand etwas zur Seite schob, dann öffnete sich langsam mit knarrendem Geräusch das Tor.

Ein vornehm gekleideter Diener stand nun vor mir mit einem Licht in der Hand. Er wirkte weder überrascht noch verwundert, dass hier nach langer Zeit einmal wieder jemand klopfte. Er machte einen frischen, eleganten Eindruck und lächelte, während er mich im Schein der Lampe betrachtete.


Im Schloss

„Willkommen am Hof des Königs! Es ist für uns eine besondere Freude, dass wieder einmal jemand an diesem Tor anklopft und um Einlass bittet. Die meisten der Gäste kommen über das Hauptportal, dabei stünde auch dieser Eingang allen offen. Hinter ihm liegt eigentlich der schönste Weg ins Schlossinnere.“

Nun ging der Diener mir mit dem Licht voraus. Wir stiegen eine Treppe hinauf mit sehr vielen Stufen. Auch waren keinerlei weitere Lampen entzündet, sodass nur das kleine Licht, das der Diener in der Hand hielt, uns den Weg wies. Mit einem Mal folgte dann ein breiterer Absatz und wir gelangten an eine Brüstung, von der aus wir die große Empfangshalle des Schlosses überblicken konnten. Aber auch hier waren gerade nur die Umrisse auszumachen, es brannte nirgendwo Licht, auch durch die großen stattlichen Fenster nicht.

„Dieses Schloss liegt ja völlig im Dunkeln“, sagte ich zu dem Diener, „und es ist niemand hier zu sehen. Sie sprachen doch eben von vielen anderen Gästen.“

Der Diener verzog keine Mine, er lächelte nur. „Kommen sie mit, es geht noch weiter hinauf,“ entgegnete er. Nach einiger Zeit gelangten wir erneut an einen Treppenabsatz, von dem aus man über einen Fenstersims einen Ausblick über einen Teil des Schlossgeländes hatte. Überall dämmerte es auch hier, aber plötzlich sah ich Reiter mit Fackeln, die eine Kutsche flankierten, die von weißen Pferden zum Schloss gezogen wurde. Sie schien von einem hellen Schein umgeben zu sein.


Der König kommt

„Der König kommt“, sagte der Diener. „Er wird hier für Licht sorgen. Kein menschliches Licht soll diese Räume erhellen und erwärmen. Nur das Licht des Königs. Aber kommen Sie nun mit ganz hinauf in das Zimmer, wo er sie sehen will.“

So eilten wir nun noch einmal eine ganze Reihe von Stufen empor. Das Licht des Dieners schien langsam zu verlöschen, sodass wir vor uns hin tastend einen Raum betraten, im dem nur ein einziger vornehmer Stuhl stand. Es musste der Thron des Königs sein. Ansonsten war der Raum völlig leer. Es gab nichts, womit dieses Zimmer ausgeschmückt oder ausstaffiert gewesen wäre. So konnte man eigentlich nur auf den Stuhl schauen.

Da ich mittlerweile müde war, sank ich vor ihm auf den Boden, vielleicht kniete ich auch, ich weiß es nicht mehr. Der Diener hielt sich im Hintergrund, seine Lampe war erloschen. Auch er schaute gelegentlich auf den Stuhl. Alles um uns war still, leer und dämmrig.

Wir warteten und warteten. In der Stille betete ich auch; denn ich spürte die Gegenwart Gottes in diesem Schloss. Gleichzeitig lag etwas Schweres und Bedrückendes über all diesen Räumen, das einfach nicht weichen wollte. Wenn nun nicht irgendetwas geschehen würde, würde ich aufspringen und hinauslaufen, so schnell ich nur konnte.


Das Licht leuchtet in der Dunkelheit

Nun öffnete sich mit einem Mal in diesem Zimmer eine Tür. Herolde, gekleidet mit glänzendem Stoff, traten hervor und bliesen eine Fanfare. Sie riefen: “Seine Majestät, der König!“ Dann fielen sie auf ihre Knie. Und nun trat Jesus in diesen Raum. Von ihm ging ein so helles Licht aus, dass es fast nicht zu ertragen war. Dies leuchtete in die Dunkelheit des Schlosses hinein, das dadurch von großem Glanz erfüllt wurde. Die Herrlichkeit Gottes durchflutete mit einem Mal alle Zimmer, die Gänge und auch die verlassensten Winkel des Gemäuers. Und das Schloss schien auch nach außen hin zu strahlen und zu leuchten. Denn die Vögel im Schlosshof trällerten plötzlich laut vor sich hin und man hörte nun auch Stimmen von Menschen, die es hinaufzog zum Schloss, um auch sein Licht kennen zu lernen.

Dann schaute mir Jesus in die Augen. Sein liebevoller Blick berührte die Unruhe meines Herzens. Sein Friede berührte mich und langsam vergaß ich das lange Suchen im Schloss. Ich versuchte seinem Blick stand zu halten. Wer war ich schon? Einer, der im Dunkeln tappt? Welch unergründlichen Reichtum barg sein Blick, welche Barmherzigkeit, welche Annahme und welche Bereitschaft zur Vergebung!

„Heute bin ich zu dir in das Schloss deines Lebens gekommen“, sagte Jesus. „Wir befinden uns hier im Zentrum deiner Persönlichkeit, mitten in deinem Herzen. Hier hast du bisher geschaltet und gewaltet, hier hast du regiert.“

Sprachlos schaute ich Jesus an. „W..a..s? Ich habe hier regiert?“

„Ja, du hast hier auf diesem Stuhl gesessen und regiert.“


Behüte dein Herz

„Aber ich kenne dich schon lange, ich gehöre zu einer christlichen Gemeinde und ich habe versucht, deine Gebote zu halten. Ich habe versucht, dir auch mit meinem Herzen zu folgen.“

„Ja, du hast es immer und immer wieder versucht, mir auch mit deinem Herzen zu folgen,“ sagte Jesus. „Aber oft ist es dir misslungen. Die Motive deines Herzens waren noch zu sehr von deinen eigenen Bedürfnissen bestimmt. Aber nun soll mehr von meiner Herrschaft in deinem Leben sichtbar werden. Setze alles daran, dass in Zukunft dieser Platz für mich reserviert bleibt, damit du auf mich schauen kannst, damit du meine Stimme hören kannst und damit meine Liebe dein ganzes Leben erfüllt.“

Nun traten wieder die Herolde hervor und sie proklamierten: „Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag. Der Gottlosen Weg aber ist wie das Dunkel; sie wissen nicht, wodurch sie zu Fall kommen werden. Mein Sohn, merke auf meine Rede und neige dein Ohr zu meinen Worten. Lass sie dir nicht aus den Augen kommen; behalte sie in deinem Herzen, denn sie sind das Leben denen, die sie finden, und heilsam ihrem ganzen Leibe. Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus quillt das Leben. Tu von dir die Falschheit des Mundes und sei kein Lästermaul. Lass deine Augen stracks vor sich sehen und deinen Blick geradeaus gerichtet sein. Lass deinen Fuß auf ebener Bahn gehen, und alle deine Wege seien gewiss. Weiche weder zur Rechten noch zur Linken; wende deinen Fuß vom Bösen“ (Sprüche 4, 18-27).